SPD Nortorf

Kriegsende in Nortorf und demokratischer Neuanfang

Kriegsende in Nortorf und demokratischer Neuanfang

Aus dem Bericht des Stadtkämmerers Delles über die Jahre 1945 und 1946 aus der Sicht der Nortorfer Verwaltung: „Am 1. April 1945 stand bereits fest, daß ein Wendepunkt der Kriegsereignisse nicht zu erwarten war. Im Westen fanden die Kämpfe am Rhein statt. Im Osten war der Gegner bis zur Oder vorgestoßen. Der Flüchtlingsstrom aus dem Osten nahm immer größeren Umfang an. Die Bauerntrecks aus Ostpreußen und Pommern rollten ohne Unterbrechung durch unsere Stadt. Sie wurden in der Treckleitstelle aufgefangen und auf die verschiedenen Ortschaften verteilt. Etwa 40.000 Personen wurden gezählt. Dazu kamen laufend Flüchtlingstransporte mit der Bahn. Am 1. April 1945 traf ein Sonderzug ein und brachte 500 Personen, die in der Stadt untergebracht werden mußten. Es begannen die Vorbereitungen zur Anlegung von Verteidigungsstellen. Militärische Vorkommandos trafen ein, darunter eine ungarische Einheit in Stärke von 500 Mann, die in der Mittelschule Quartier bezog. Die Tätigleit der englischen und amerikanischen Flieger nahm zu. Folgende Großangriffe auf die benachbarten Städte fanden statt: auf Kiel am 4., 9. und 21. April 1945, auf Neumünster am 13. April 1945, auf Rendsburg am 23. April 1945, die einen weiteren Zustrom von Personen aus diesen Städten nach Nortorf brachten.

Ende April hatten englische Truppen die Elbe bei Lauenburg überschritten und stießen schnell auf Lübeck und den Kaiser-Wilhelm-Kanal vor. Am 5. Mai 1945 traf ein englisches Vorkommando in Nortorf ein und ordnete eine kurzfristige Abgabe von Waffen, Munition, Photoapparaten und Ferngläsern an. Die in Nortorf untergebrachten Kriegsgefangenen französischer und belgischer Nationalität wurden von dem Vorkommando mit der Besetzung des Rathauses beauftragt. Der letzte nationalsozialistische Bürgermeister Waldemar Hein, gleichzeitig Ortsgruppenleiter der NSDAP, wurde durch den französischen Sergeanten Baelden im Auftrage der englischen Truppe am 8. Mai 1945 seines Amtes als Bürgermeister enthoben. Er endete am 10. Mai 1945 durch Freitod. Von dem Sergeanten Baelden wurde Ingenieur Gustav Krierke zum Bürgermeister der Stadt Nortorf bestellt. Die Bestätigung erfolgte am 10. Mai 1945 durch den Kommandeur der englischen Besatzungstruppe. Am Nachmittag des 8. Mai besetzten englische Truppeneinheiten die Stadt Nortorf. Die Stadtverwaltung setzte trotz mancher Schwierigkeit ihre Tätigkeit fort. Die Polizei wurde im Amt belassen. Am 14. Juli wurde ein englisches Polizeikommando in Stärke von 15 Mann nach Nortorf verlegt, das bis zum 1. Oktober 1945 im Ort verblieb.

Die Ende April in den Eingängen der Stadt angelegten Panzersperren mußten sofort beseitigt werden. Auf Veranlassung der Militärregierung hatte Bürgermeister Krierke ein zunächst aus 9 Mitgliedern aus verschiedenen Berufsgruppen zusammen-gesetztes Verwaltungsorgan zusammengestellt, das mit Genehmigung der Militärregierung als Gemeinderat berufen wurde und erstmalig am 20. Mai 1945 tagte. Als Beigeordnete zur Vertretung des Bürgermeisters in Behinderungsfällen wurden die Herren Dr. med. Melzer und Fabrikant Paul Köster gewählt.

Am 23. Juni 1945 wurde Bürgermeister Krierke durch die Militärregierung seines Amtes enthoben. Die Führung der Stadtgeschäfte hatte der inzwischen durch die Militärregierung zum 1. stellvertretenden Bürgermeister ernannte Weinhändler Lorenz Lorenzen übernommen, der einen neuen aus 13 Mitgliedern bestehenden Gemeinderat bildete. Am 26. Juni 1945 wurde Oberstleutnant a. D. Hans Witte aus Rendsburg durch den Landrat Seybold des Kreises Rendsburg in sein Amt als Bürgermeister eingeführt. [...]

Ende 1945 erließ die Militärregierung Richtlinien für die Selbstverwaltung der Gemeinde nach englischem Muster. Hierdurch wurde die Verantwortung für die gesamte Gemeindeverwaltung auf die Gemeindevertretung (Rat der Gemeinde) übertragen unter Verbot der eigenen Beschlußdurchführung (Gewaltentrennung). Die Beschlußfestsetzung erfolgt seitdem durch die Gemeindevertretung, deren ehrenamtlich tätiger politischer Vorsitzender jetzt die Bezeichnung Bürgermeister erhält und jährlich neu gewählt werden muß. Die Durchführung der Beschlüsse, sowie aller Gesetze, Verordnungen und Anweisungen vorgesetzter Dienststellen ist dagegen ausschließlich Sache eines unpolitischen, hauptberuflich zu wählenden Gemeindebeamten mit der Bezeichnung Stadtdirektor, der - unabhängig vom Bürgermeister - die Verwaltungsvollzugsgeschäfte zu führen hat, sowie der Dienst- und Disziplinar-vorgesetzte aller Gemeindebeamten, -angestellten und -arbeiter ist.

Als Gemeindevertretung waren nach den Richtlinien der Militärregierung für unsere Stadtgemeinde 16 Vertreter zu bestellen und zwar auf Vorschlag der politischen Parteien.

Eine Einigung der politischen Parteien kam nicht zustande, so daß die Militärregierung die Gemeindevertretung selbst berief und den Fabrikanten Paul Köster zum Bürgermeister bestellte. Die Einführung der Gemeindevertreter einschließlich des Bürgermeisters erfolgte in feierlicher Ratssitzung am 11. Februar 1945 durch den Kreisgouverneur, Oberstleutnant Cornel, im Beisein von Vertretern der örtlichen Besatzung, Kaptain Williams und Hauptmann Rief, sowie des Landrats Struve. Als Stadtdirektor wurde der bisherige Bürgermeister Witte durch die Militärregierung auf 2 Jahre bestellt.

Die Vertretung des neuen politischen Bürgermeisters erfolgt nicht mehr durch Beigeordnete, sondern durch die hierzu gewählten Gemeindevertreter mit der Bezeichnung Bürgermeister-Stellvertreter. Als solcher wurde ebenfalls in der Sitzung am 11. Februar 1946 der Ratsherr Hans Dierks ernannt. [...]

Am 15. September 1946 fanden erstmalig wieder allgemeine Gemeindewahlen statt, womit die von der Militärregierung bestellte Gemeindevertretung ihr Ende fand und auch die Amtsdauer des von der Militärregierung eingesetzten Bürgermeisters Köster ablief. Die Einführung und Vereidigung der neugewählten 15 Gemeindevertreter erfolgte durch den Stadtdirektor Witte als Wahlleiter in feierlicher, öffentlicher Ratsversammlung am 4. Oktober 1946. In derselben Sitzung wurde als neuer politischer Bürgermeister der Kaufmann Wilhelm Techam und als Bürgermeister-Stellvertreter der Sparkassendirektor Heinz Vaquette für die nach den Richtlinien der Militärregierung vorgesehene einjährige Amtszeit gewählt."

Soweit der Bericht des Stadtkämmerers, der zwar nicht datiert ist, vermutlich aber im ersten Quartal 1947 abgefaßt wurde. Nachgetragen sei noch das Ergebnis der ersten Gemeindewahl vom 15. September 1946 wie Delles es unter Angabe der Stimmenzahl und der Parteizugehörigkeit aufführt:

 1.

Administrator a. D. Siegfried Böttcher

Reserveliste

CDU

 2.

Mühlenarbeiter Hermann Delfs

639

CDU

 3.

Pastor Rudolf Hegerfeldt

619

CDU

 4.

Bäckermeister Hans Pöhls

633

CDU

 5.

Bauer Heinrich Rohwer

631

CDU

 6.

Klempnermeister Christian Schönwandt

609

CDU

 7.

Sparkassendirektor Heinz Vaquette

603

CDU

 8.

Zigarrenhändler Hermann Bracker

615

SPD

 9.

Lederarbeiter Hans Dierks

674

SPD

10.

Vulkaniseur Emil Hesse

594

SPD

11.

Fabrikarbeiter Friedrich Kruse

Reserveliste

SPD

12.

Landmann Max Mester

574

SPD

13.

Angestellter Max Mißbach

Reserveliste

SPD

14.

Lederarbeiter Jürgen Rohwer

583

SPD

15.

Kaufmann Wilhelm Techam

564

SPD

 

 

Wilhelm Techam, Bürgermeister von 1946 - 1948
(Foto: Stadtarchiv Nortorf

Zum ersten Mal in der Geschichte des Nortorfer Ortsvereins stellte die SPD mit 8 zu 7 Sitzen die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung und damit auch den jetzt wieder ehren-amtlichen Bürgermeister und mußte sich den Hauptproblemen der unmittelbaren Nachkriegszeit stellen: Wohnungsnot, Lebensmittelversorgung, Arbeitslosigkeit, Integration der Flüchtlinge. 

 
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